Der digitale Wandel konfrontiert Unternehmen mit tiefgreifenden Veränderungen, die weit über technologische Innovationen hinausgehen. Er beeinflusst betriebliche Strukturen, operative Prozesse und insbesondere die kulturellen Grundannahmen innerhalb von Organisationen. In diesem Kontext gewinnt die Unterscheidung zwischen Führung und Management zunehmend an Bedeutung. Während Management als die zielgerichtete Planung, Organisation und Steuerung von Systemen, Prozessen und Projekten verstanden wird, fokussiert Führung auf den Umgang mit Menschen. Führung setzt Beziehung, Kommunikation und Vertrauen voraus – Eigenschaften, die sich dem mechanistischen Steuerungsdenken des klassischen Managements entziehen¹. Menschen lassen sich nicht im Sinne technischer Systeme „managen“; sie lassen sich nur dann führen, wenn sie bereit sind, der Führungskraft zu folgen².
Führung ist dabei keine einseitige Einflussnahme, sondern ein interaktiver sozialer Prozess. Sie basiert auf der Wechselwirkung zwischen Führenden und Folgenden. Erst wenn Mitarbeitende eine Führungskraft als legitim und richtungsgebend akzeptieren, kann von wirksamer Führung gesprochen werden. Diese Erkenntnis macht deutlich, dass Führungskräfte sich mit der zentralen Frage auseinandersetzen müssen, wie sie führen müssen, um Vertrauen, Motivation und Engagement ihrer Teams zu gewinnen. In der digitalisierten Arbeitswelt, die von Unsicherheit, Komplexität und ständiger Veränderung geprägt ist, wird diese Frage umso drängender³.
Die digitale Transformation beeinflusst nicht nur technologische Systeme, sondern auch die Art und Weise, wie gearbeitet, kommuniziert und geführt wird. Damit geht eine Verschiebung der Anforderungen an Führung einher. Fünf zentrale Dimensionen erscheinen in diesem Zusammenhang besonders relevant: Erstens erwarten Mitarbeitende zunehmend eine sinnstiftende Führung, die Orientierung durch Werte, Visionen und konkrete Ziele bietet⁴. Zweitens erfordern dezentrale, vernetzte Teams eine offene Kommunikations- und Feedbackkultur, die durch Kooperation und Transparenz gekennzeichnet ist. Drittens gewinnt die Fähigkeit zur Ambidextrie – dem gleichzeitigen Umgang mit Stabilität und Wandel – an Bedeutung. Führungskräfte müssen widersprüchliche Anforderungen integrieren können, etwa Effizienz und Innovation. Viertens ist die persönliche und strukturelle Unterstützung der Mitarbeitenden im Transformationsprozess eine wesentliche Führungsaufgabe. Und schließlich wird Agilität zum Kernprinzip wirksamer Führung: Anpassungsfähigkeit, Kundenorientierung, Schnelligkeit und ein entsprechendes Mindset sind unerlässlich für zukunftsfähige Organisationen⁵.
Gute Führung ist kein Zufallsprodukt, sondern das Ergebnis bewusster Entwicklung und gezielter Reflexion.6 Zur Strukturierung dieser Entwicklungsprozesse hat sich ein sechsstufiges Reflexionsmodell bewährt, das differenzierte Betrachtungen von Führungsverhalten ermöglicht. Es berücksichtigt verschiedene Ebenen, die für wirksame Führung relevant sind: die äußeren Rahmenbedingungen (Wo, wann, mit wem?), das konkrete Verhalten (Was tue ich?), die zugrunde liegenden Fähigkeiten (Wie tue ich es?), die handlungsleitenden Werte und Überzeugungen (Warum tue ich es?), die persönliche Identität (Wer bin ich als Führungskraft?) sowie die übergeordnete Sinn- oder Systemebene (Wozu bin ich Teil dieses Ganzen?). Diese Ebenen stehen in einem hierarchischen Zusammenhang – Veränderungen auf höheren Ebenen können tiefgreifende Wirkungen auf die darunterliegenden entfalten. So kann etwa die Klärung von Werten und Identität das Verhalten und die Kommunikationsweise einer Führungskraft nachhaltig beeinflussen.7
Der systematische Einsatz dieses Modells in der Führungskräfteentwicklung ermöglicht es, kohärente Führungsbilder zu erarbeiten, die sowohl zur bestehenden Unternehmenskultur als auch zu den angestrebten Zielen passen. Indem Führungskräfte angeregt werden, sich auf allen Ebenen zu reflektieren, entsteht eine hohe intrinsische Motivation zur Weiterentwicklung. Dies ist die Grundlage für den Erwerb neuer Kompetenzen und ein verändertes Führungsverhalten, das auf Vertrauen, Sinnorientierung und gemeinsamer Zielerreichung basiert.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Die Herausforderungen des digitalen Wandels verlangen von Führungskräften mehr als nur operative Steuerungskompetenz. Gefordert ist ein erweitertes Führungsverständnis, das auf innerer Haltung, Beziehungsgestaltung und systemischer Reflexionsfähigkeit basiert. Organisationen, die gemeinsam mit ihren Führungskräften ein stimmiges, kulturell eingebettetes Führungsverständnis entwickeln, legen damit die Basis für nachhaltige Transformation und erfolgreiche Zusammenarbeit. Das Modell der logischen Ebenen bietet hierfür einen bewährten Rahmen, um Führung ganzheitlich zu erfassen und gezielt zu gestalten – hin zu einer Führung, der Menschen folgen, weil sie den Sinn, die Richtung und den Wert ihrer Arbeit erkennen.
Fußnoten:
- Malik, F. (2011). Führen Leisten Leben: Wirksames Management für eine neue Zeit. Campus Verlag.
- Simon, F. B. (2007). Einführung in die systemische Organisationstheorie. Carl-Auer Verlag.
- Kotter, J. P. (2012). Leading Change. Harvard Business Review Press.
- Sinek, S. (2009). Start with Why: How Great Leaders Inspire Everyone to Take Action.
- North, K., Maier, R., & Haas, O. (2018). Wissensorientierte Unternehmensführung: Wertschöpfung durch Wissen. Springer Gabler.
- Dilts, R. (1996). Visionary Leadership Skills: Creating a World to Which People Want to Belong. Meta Publications.
- Bateson, G. (1972). Steps to an Ecology of Mind sowie Dilts, R. (1996). Visionary Leadership Skills: Creating a World to Which People Want to Belong. Das Modell wurde ursprünglich von Gregory Bateson konzipiert und später von Robert Dilts im Rahmen der NLP-basierten Führungskräfteentwicklung weiterentwickelt. Es dient als Strukturhilfe zur persönlichen und professionellen Weiterentwicklung.
Autor:
Dr. Matthias Wokittel FuturaMed
Erschienen 10/2025 in ‚Krankenhaus Umschau‘ von MGO Fachverlage