Teamrollen und Führungskultur: Die Bedeutung individueller Stärken und Schwächen im Wandel der Zeit

In einer zunehmend komplexen, dynamischen und vernetzten Arbeitswelt gewinnt funktionierende Teamarbeit an strategischer Relevanz. Innovation, Anpassungsfähigkeit und Effizienz entstehen nicht allein durch Fachwissen oder Prozessoptimierung, sondern vor allem durch das Zusammenspiel individueller Persönlichkeiten mit unterschiedlichen Fähigkeiten, Blickwinkeln und Erfahrungen. In diesem Kontext verschiebt sich auch die Rolle der Führung weg von autoritären Steuerungsmodellen hin zu einem verstehenden, moderierenden und strukturierenden Führungsverständnis. Im Zentrum stehen nicht länger Kontrolle und Anweisung, sondern Beziehungsgestaltung, Rollenbewusstsein und der kompetente Umgang mit Vielfalt.

Führung im Spannungsfeld von Veränderung, Verantwortung und Belastung

Moderne Führung bedeutet heute weit mehr als operative Steuerung. Sie ist Beziehungsarbeit, kulturelle Gestaltung und Entwicklungsmotor. Führungskräfte agieren als Impulsgeber, Vermittler und Sinnstifter in einem Umfeld, das von hoher Dynamik, wachsender Unsicherheit und steigender Ambiguität geprägt ist. Sie stehen vor der Herausforderung, Orientierung zu geben, ohne zu dirigieren, Vertrauen zu ermöglichen, ohne Kontrolle gänzlich aufzugeben, und Entscheidungen zu treffen, ohne autoritär zu wirken.

Gleichzeitig bleibt die Verantwortung in Führungsfunktionen – insbesondere auf höheren Leitungsebenen – hoch: Entscheidungen mit weitreichenden Konsequenzen müssen getroffen, Konflikte ausgehalten und multiple Erwartungshaltungen in Einklang gebracht werden. Die psychische wie physische Belastung, die mit dieser Rolle einhergeht, wird häufig unterschätzt. Führung ist nicht zuletzt ein emotional exponierter Zustand, der Resilienz, Selbstreflexion und Rückhalt erfordert. Daher braucht moderne Führung nicht nur Weiterentwicklungsmöglichkeiten, sondern auch Schutzräume und Unterstützungssysteme, etwa durch Coaching, Supervision oder kollegiale Beratung.

Geschlechterpluralität als Führungsressource

Ein zukunftsfähiges Führungsverständnis schließt auch die bewusste Integration von Geschlechtervielfalt ein. Unterschiedliche geschlechtliche Sozialisationen bringen verschiedene Kommunikationsstile, Prioritätensetzungen und Entscheidungslogiken hervor. Während traditionell männlich kodierte Führungsmuster auf Durchsetzung, Klarheit und Zielorientierung setzen, stehen in weiblich geprägten Ansätzen oft Beziehungsfähigkeit, Partizipation und Systemdenken im Vordergrund.

Diese Unterschiede sind nicht defizitär, sondern komplementär, sofern sie als Ressource begriffen und kultiviert werden. Genderdiversität in Führung ist kein moralisches Gebot, sondern ein funktionaler Vorteil: Sie ermöglicht eine breitere Perspektivenvielfalt, ein ausgewogeneres Risikomanagement und ein höheres Maß an Adaptivität in dynamischen Situationen. Voraussetzung dafür ist ein kulturelles Klima, das Unterschiedlichkeit anerkennt und systematisch fördert, etwa durch geschlechtersensible Personalentwicklung, partizipative Governance-Strukturen und diskriminierungsfreie Arbeitsbedingungen.

Wandel der Mitarbeitererwartungen: Neue Freiheitsgrade, alte Anforderungen

Parallel zur Transformation der Führung hat sich auch das Selbstverständnis von Mitarbeitenden verändert. Der Wunsch nach Selbstbestimmung, Sinnhaftigkeit und individueller Lebensgestaltung tritt stärker in den Vordergrund. Der Fachkräftemangel verstärkt diese Entwicklung: Arbeitgeber sehen sich zunehmend in einer Bringschuld, attraktive Arbeitsbedingungen zu schaffen, z.B. durch flexible Arbeitszeitmodelle, Möglichkeiten zum Homeoffice oder durch Beteiligung an Entscheidungsprozessen.

Doch mit neuer Freiheit wächst auch die Notwendigkeit zu Struktur, Verantwortung und Verbindlichkeit. Selbstverantwortung ist kein Freibrief zur Beliebigkeit – sie verlangt eine klare Verankerung im organisationalen Gesamtgefüge. Wer Teil eines Systems ist, muss auch bereit sein, dieses System mitzutragen. Die Kunst moderner Organisationsführung liegt daher darin, individuelle Autonomie mit kollektiver Verlässlichkeit in Einklang zu bringen, insbesondere durch transparente Regeln, klare Zielbilder und eine konsequente Kommunikationskultur.

Fakultäten als Mikrokosmos organisationaler Paradoxien

Besonders anschaulich zeigt sich das Spannungsfeld zwischen individueller Autonomie und kollektiver Verantwortung im universitären Kontext – etwa in medizinischen Fakultäten. Hier treffen basisdemokratische Entscheidungsprozesse, wissenschaftliche Freiheit und persönliche Statuslogiken auf die Notwendigkeit strategischer Steuerung, interdisziplinärer Zusammenarbeit und institutioneller Entwicklung. Der Schutz wissenschaftlicher Unabhängigkeit ist zweifellos zentral. Doch wenn er zur Legitimation von Eigenbrötlerei und Steuerungsverweigerung wird, gefährdet er die Zukunftsfähigkeit ganzer Organisationseinheiten.

Fakultäten, die primär als Zusammenschluss autonomer „Einzelfürstentümer“ operieren, erschweren gemeinsame Zielverfolgung, Innovation und Führungskohärenz. Es braucht daher ein neues Führungsverständnis im akademischen Raum, eines, das Autonomie nicht abschafft, sondern einbettet; das Partizipation ermöglicht, aber auch Entscheidungsfähigkeit wahrt. Zentral sind transparente Rollenverteilungen, klare Governance-Strukturen, definierte Zuständigkeiten und ein neues Bewusstsein für kollektive Verantwortung insbesondere in Gremienarbeit, Berufungsverfahren und der Gestaltung gemeinsamer Ressourcen.

Digitale Transformation: Chancen und Spannungen hybrider Zusammenarbeit

Die Digitalisierung hat die Arbeitswelt tiefgreifend verändert und zwar nicht nur durch neue Technologien, sondern durch einen kulturellen Wandel. Homeoffice, hybride Meetings und digitale Kollaborationstools haben klassische Bürostrukturen abgelöst. Sie bieten Effizienzgewinne, neue Freiheiten und bessere Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben. Gleichzeitig verändern sie die Anforderungen an Führung und Teamarbeit grundlegend.

Führung auf Distanz verlangt andere Kompetenzen als Präsenzführung: Vertrauen statt Kontrolle, Intentionalität in der Kommunikation, Gestaltung digitaler Nähe. Zugleich ist Präsenz keine bloß physische Kategorie. Vielmehr schafft sie Raum für spontane Interaktion, informellen Austausch, emotionale Resonanz. Gerade in kreativen, konfliktreichen oder komplexen Zusammenhängen ist persönliche Begegnung durch nichts vollständig ersetzbar. Die Herausforderung liegt daher in der klugen Gestaltung hybrider Modelle: solche, die die Vorteile digitaler Flexibilität mit der Bindungskraft physischer Präsenz verbinden: durch abgestimmte Rhythmen, klare Präsenzregeln und bewusste Gelegenheiten zur Begegnung.

Teamrollen: Von Hierarchie zur Funktion

Ein zukunftsorientiertes Verständnis von Teamarbeit löst sich zunehmend von hierarchischen Denkmodellen. Im Zentrum stehen funktionale Rollen – verstanden nicht als formale Positionen, sondern als Beiträge zur Teamleistung. Modelle wie das von Meredith Belbin unterscheiden dabei neun typische Rollenprofile – von der ideengebenden Neuerin bis zum strukturierenden Umsetzer, vom kommunikativen Koordinator bis zum kritischen Beobachter.

Ziel ist eine ausgewogene Teamzusammensetzung, die unterschiedliche Denk- und Handlungsstile integriert. Denn Teams funktionieren nicht durch Homogenität, sondern durch komplementäre Unterschiedlichkeit. Führung heißt in diesem Kontext: Rollen sichtbar machen, entwickeln und in Beziehung setzen und zwar durch Feedback, gemeinsame Reflexion und eine Kultur des gegenseitigen Respekts.

Unterschiedlichkeit als Ressource, nicht als Störung

In einem wirksamen Team sind nicht alle gleich. Genau das ist die Stärke. Analytisch denkende Persönlichkeiten hinterfragen, wägen ab und sichern Qualität. Visionäre Köpfe denken voraus, eröffnen neue Wege. Organisationstalente sorgen für Struktur, Verlässlichkeit und Umsetzung. Kommunikationsstarke Rollen vermitteln, verbinden und deeskalieren.

Entscheidend ist, dass diese Unterschiedlichkeit nicht als Bedrohung erlebt wird, sondern als Ressource. Das ist ein Prozess, der bewusster Steuerung und kontinuierlicher Teamentwicklung bedarf. Führung ist hier nicht neutrale Beobachterin, sondern aktive Ermöglicherin: Sie schafft die Rahmenbedingungen, in denen Unterschiedlichkeit fruchtbar wird.

Schwächen systemisch verstehen

Ein professioneller Umgang mit individuellen Schwächen gehört ebenso zur Führungsaufgabe wie die Förderung von Stärken. Doch Schwächen sind keine persönlichen Defizite, sondern häufig Hinweise auf systemische Unausgewogenheit. So kann etwa ein Team, das übermäßig von strukturorientierten Rollen dominiert wird, an Innovationsarmut leiden. Umgekehrt kann eine hohe kreative Dynamik ohne Umsetzungsrollen zu operativer Ineffizienz führen.

Die Aufgabe von Führung besteht darin, diese Ungleichgewichte zu erkennen und gezielt auszugleichen, z.B. durch gezielte Teamerweiterung, Rollenrotation oder Reflexionsformate. Entscheidend ist, Schwächen nicht zu individualisieren, sondern als kollektive Entwicklungsherausforderung zu begreifen.

Rollenbewusstsein als Führungsaufgabe

Eine zentrale Kompetenz moderner Führung ist die Diagnose und Entwicklung von Teamrollen. Dies verlangt Beobachtungsgabe, Kommunikationsstärke und den Mut zur Unterschiedlichkeit. Statt Idealprofile zu normieren, geht es um die Förderung individueller Beiträge zur kollektiven Leistung.

Führung ist damit weniger Dirigentin als Architektin: Sie gestaltet Strukturen, entwickelt Talente, moderiert Prozesse und hält Spannungen aus. Dabei braucht sie nicht nur Empathie, sondern auch Klarheit in Zielen, Erwartungen und Verantwortlichkeiten.

Agiles Rollenverständnis: Dynamik statt Zuschreibung

Teamrollen dürfen dabei nicht als statisch verstanden werden. Menschen entwickeln sich, Situationen verändern sich, Anforderungen verschieben sich. Ein funktionales Rollenverständnis ist daher dynamisch, kontextsensibel und dialogorientiert. Instrumente wie Rollenfeedback, temporäre Rollentausche oder kollegiale Supervision können diesen Prozess unterstützen, insbesondere z.B. in hybriden Arbeitssettings, in denen Rollenklarheit durch Distanz leicht verloren geht.

Fazit: Führung als Gestaltung kollektiver Intelligenz

Moderne Führungskultur basiert auf dem Verständnis, dass Unterschiedlichkeit keine Schwäche, sondern Stärke ist, sofern sie bewusst gestaltet wird. Teams funktionieren dann am besten, wenn Rollen nicht zufällig entstehen, sondern gezielt gefördert und miteinander in Beziehung gesetzt werden. Dafür braucht es Führungskräfte, die Orientierung geben, Strukturen schaffen, Verantwortung übernehmen ohne Autonomie zu ersticken.

Führung bedeutet Gestaltung im Spannungsfeld zwischen individueller Integrität, kollektiver Intelligenz, struktureller Klarheit und kultureller Offenheit. Wer Teams erfolgreich führen will, braucht kein Machtmonopol, sondern ein differenziertes Rollenverständnis, ein Gespür für Dynamiken und die Bereitschaft, sich selbst als Teil des Systems zu reflektieren. Die Zukunft gehört Organisationen, die Unterschiedlichkeit nicht nur zulassen, sondern aktiv nutzen  und Führungskräften, die diese Unterschiedlichkeit wirksam gestalten können.

Autoren:
Dr. Matthias Wokittel FuturaMed & Dr. Nicolas Krämer HC&S AG
Erschienen 11/2025 in ‚Krankenhaus Umschau‘ von MGO Fachverlage

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